Osteopathie nach Schlaganfall: Wirksamkeit, Anwendung und Kontraindikationen

Osteopathie ist eine ganzheitliche Therapiemethode, die in den USA, Frankreich und Großbritannien seit vielen Jahren zu den bekanntesten und erfolgreichsten Verfahren gehört, wenn es um die Behandlung so genannter „Funktionsstörungen“ geht. Auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz entdecken Ärzte, Heilpraktiker und Physiotherapeuten die Wirksamkeit dieses ausgesprochen sanften Verfahrens, das einst vom amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still (1828-1917) entwickelt wurde.

Was ist Osteopathie?

Die Osteopathie betrachtet den Patienten immer in seiner Gesamtheit und will immer die Ursachen von Beschwerden aufspüren und behandeln, anstatt einzelne Symptome zu behandeln. Der wichtigste Grundsatz der Osteopathie lautet: „Leben ist Bewegung“. Mit gezielten Handgriffen wird das Gewebe gelockert, damit die natürliche Bewegung wieder ungehindert stattfinden kann. So wird dem Körper geholfen, Funktionsstörungen selbst zu beheben. Osteopathen leisten also Hilfe zur Selbstheilung.

Still war durch intensive Naturbeobachtungen und Anatomiestudien zu der Erkenntnis gelangt, dass sich Gesundheit im Körper durch Bewegungen und durch das perfekte Zusammenspiel von Organen, Knochen und Muskeln zeige. Da diese wie in einem Netzwerk miteinander verknüpft seien, könnten Bewegungseinschränkungen und Störungen vor allem der Gelenke und Faszien (bindegewebige Umhüllungen von Muskeln und Muskelgruppen) auch an anderen Organen und Körperregionen Symptome auslösen. Nach osteopathischer Auffassung überträgt also das Bindegewebe Störungen von einem Körpergewebe/Körperteil auf andere.

Die drei Bereiche der Osteopathie

Interessenverbände der Fachrichtung werben damit, diese Form der Medizin gehe „den Ursachen von Beschwerden auf den Grund“ und behandele „den Menschen in seiner Gesamtheit“. Dabei werden drei verschiedene Bereiche der Osteopathie beschrieben:

  • Parietale Osteopathie: Befasst sich mit den Muskeln und dem Skelett. Der Bereich der parietalen Osteopathie sei „im Grunde eine manualtherapeutische Schule“ - entspreche also im Prinzip der Manuellen Therapie, die Bestandteil der klassischen - und bewährten - Physiotherapie sei.
  • Viszerale Osteopathie: Legt den Fokus auf die inneren Organe und das umgebende Gewebe, insbesondere auf das Faszien genannte Bindegewebe.
  • Kraniosakrale Osteopathie: Nimmt Gehirn, Rückenmark und die Hirnhäute in den Blick. Sie geht von der Annahme körpereigener Rhythmen des Organismus aus, auf die der Therapeut oder die Therapeutin Einfluss nehmen kann.

Insbesondere die viszerale und die kraniosakrale Osteopathie stehen in der Kritik: Es gebe „keinerlei biologische Grundlage“ für deren Behauptungen, sagt Prof. Dr. Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie der Universität Jena.

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Die Rolle der Osteopathie nach einem Schlaganfall

Nach einem Schlaganfall kann die Osteopathie eine Rolle bei der Rehabilitation spielen, indem sie darauf abzielt, die Beweglichkeit wiederherzustellen, Muskelverspannungen zu lösen und die Körperfunktionen zu verbessern.

Anwendungsbereiche der Osteopathie

Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.

  • Am Bewegungsapparat lassen sich Blockaden von Extremitätengelenken und der Wirbelsäule sowie akute und chronische Schmerzen mit traumatischem und degenerativem Ursprung behandeln.
  • Beispiele für den Bereich der inneren Medizin sind funktionelle Herzbeschwerden, Verdauungsstörungen, Organsenkungen, Operationsfolgen wie Vernarbungen und Verwachsungen.
  • Oder im urogenitalen Bereich chronische Blasenentzündung, Inkontinenz und Nierenprobleme.
  • Im Hals-Nasen-Ohren-Bereich lässt sich Osteopathie gegen Kopfschmerzen, Nasennebenhöhlenentzündung, Schwindel, Tinnitus, und bei Kiefergelenkproblematiken einsetzen.

Die Osteopathie wirbt damit, sie könne Einschränkungen des Bewegungsapparates genauso behandeln wie Beschwerden der Verdauungsorgane, der Harn- und Geschlechtsorgane sowie des Hals-Nasen-Ohren-Bereichs oder Schlafstörungen, Asthma, Allergien, Erschöpfung und Migräne.

Osteopathie bei Kindern

Die Osteopathin Viola Fryman entwickelte die Osteopathie für Kinder. Sie formulierte die Theorie, dass Schwangerschaft und vor allem Geburt durch das Einwirken von mechanischen Kräften zu sogenannten Anpassungsstörungen führen würden. Über die osteopathischen manuellen Techniken würden Verspannungen und Blockaden gelöst, dies könne bei krampfartigen Schmerzen oder Haltungsproblemen helfen.

Dr. Pierre Teichmann, Arzt an der Kinderklinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel, sagt, es gebe unter Eltern heutzutage einen regelrechten Druck, Säuglinge osteopathisch behandeln zu lassen: „Gefühlt machen das ja auch alle im Umfeld.“ Dabei sei die Theorie, dass Kinder bei der Geburt so geschädigt würden, dass Fehlstellungen und Blockaden auftreten, die unbehandelt zu schweren Folgestörungen führen würden, „durch nichts belegt“.

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Gleiches gelte für das so häufig diagnostizierte KISS-Syndrom, die Kopfgelenk-induzierte Symmetrie-Störung, die angeblich zu Entwicklungs- und Funktionsstörungen führen soll. Beliebt ist die osteopathische Behandlung auch, wenn Babys, die lange auf dem Rücken liegen, einen schiefen oder plattgedrückten Hinterkopf haben, einen sogenannten Plagiozephalus. Doch für das, was von Osteopathinnen und Ostepathen dafür als Ursache wie Folge behauptet werde, gebe es ebenfalls „keinerlei Belege“.

„Es gibt natürlich auch bei Kindern Schiefstellungen, bei denen eine physiotherapeutische Behandlung hilft. Die Osteopathie hat da aber keinerlei Mehrwert“, sagt Teichmann. Viele der so vermeintlich erfolgreich behandelten Zustände wie etwa Unruhe, Einschlafschwierigkeiten oder Schreiattacken würden sich im normalen Reifungsprozess von selbst geben. Es sei ärgerlich, dass es „eine Pathologisierung ganz normaler Dinge“ gebe und „Eltern damit Angst gemacht wird.“

Ablauf einer osteopathischen Behandlung

Die osteopathische Diagnostik und Behandlung erfolgt ausschließlich mit den Händen und besteht nach Aussage des Verbands der Osteopathen aus dem Erspüren von Muskeln, Faszien, Knochen sowie auch Nerven, Blutgefäßen und inneren Organen.

Für die Behandlung muss der Osteopath wissen, welche Beschwerden genau vorliegen und wodurch diese beeinflusst werden. Viele Schmerzpatienten berichten beispielsweise, dass sich das Leiden nach bestimmten Mahlzeiten oder nach bestimmten Aktivitäten verschlechtert beziehungsweise verbessert. Vorerkrankungen und eventuelle Operationen wird der Osteopath ebenfalls erfragen. Hilfreich und wichtig sind auch Röntgenbilder oder andere Befunde aus vorangegangenen ärztlichen Untersuchungen.

Eine Behandlung dauert zwischen 45 und 60 Minuten.

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Wie viele Behandlungen sind nötig?

Es kann durchaus passieren, dass jemand nach ein bis zwei Sitzungen beschwerdefrei ist. Aber das ist nicht die Regel. Es hängt von den Beschwerden ab. Blockaden kann man möglicherweise schneller lösen, degenerative Beschwerden lassen sich lindern, aber nicht beheben. Nach drei Behandlungen sollte jedoch eine Verbesserung spürbar sein, sonst macht eine Weiterbehandlung keinen Sinn. Zwischen den Sitzungen werden etwa zwei bis drei Wochen Pause zur Selbstregulierung eingehalten. Der eigentliche Therapieeffekt tritt also durch die Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Körpers zwischen den Behandlungssitzungen ein. Genauso wie ja auch bei einem sportlichen Training der eigentliche Leistungszuwachs in den Ruhephasen erfolgt.

Wer darf Osteopathie anbieten?

Osteopathische Behandlungen dürfen in Deutschland uneingeschränkt nur von Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern und Ärztinnen und Ärzten angeboten werden. Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, die die osteopathische Behandlung nur auf Anweisung von Ärztinnen und Ärzten oder Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern durchführen, agieren in einer Grauzone; der VOD empfiehlt ihnen daher den Erwerb der Heilpraktikererlaubnis.

Für die osteopathische Ausbildung gibt es keine verpflichtende Regelung, ein eigenständiges Berufsbild existiert bisher nicht. Einen guten Therapeuten findet man daher am besten über die Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie (BAO).

Osteopathie und Wissenschaft

Die Wissenschaft stellt der Osteopathie ein eher schlechtes Zeugnis aus. Zum einen wird seit vielen Jahren das Fehlen belastbarer Studien bemängelt. Der IGelMonitor von April 2018, für den im Auftrag des Spitzenverbandes der Krankenkassen insgesamt zehn Studien zur Wirksamkeit der Osteopathie bei Rückenschmerzen ausgewertet wurden, erkannte keinen überzeugenden Nutzen - Schäden jedoch ebenfalls nicht.

Prof. Dr. Cordula Braun, Professorin für Physiotherapie an der hochschule 21 in Buxtehude und Mitglied des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin, sieht ein Problem bei der Bewertung der osteopathischen Methoden unter anderem in den unklaren Begrifflichkeiten.

Der Bereich der viszeralen und craniosakralen Osteopathie sei hingegen „wissenschaftlich betrachtet eine Blackbox“, die biologische Plausibilität der Grundlagen und Grundsätze fragwürdig und umstritten.

Wissenschaftliche Bewertung osteopathischer Verfahren durch die Bundesärztekammer

Der Vorstand der Bundesärztekammer beauftragte seinen Wissenschaftlichen Beirat mit einer Bewertung osteopathischer Verfahren. Es wird u. a. ersichtlich, dass Begrifflichkeiten wie „Osteopathie“ und „osteopathische Medizin“ keine klare, weltweit akzeptierte Definition besitzen. Dennoch haben verschiedene osteopathische Verfahren Eingang in die Medizin gefunden und können als Bestandteil und Erweiterung der Manuellen Medizin betrachtet werden. Die Notwendigkeit einer ärztlichen Differenzialdiagnostik ist dabei aber essenziell.

Kontraindikationen der Osteopathie

Nicht jede Erkrankung darf osteopathisch behandelt werden - es existieren klare Grenzen. Menschen, die akut medizinische Beschwerden haben, etwa nach Stürzen, sollten sich zum Check ins Krankenhaus begeben: Ist etwas gebrochen oder liegt ein plötzlicher, bedrohlicher Zustand vor? Ein Zustand, bei dem Sie denken: „Etwas stimmt ganz gewaltig nicht“? Dasselbe gilt bei (Verdacht auf) Herzinfarkt und Schlaganfall: Bei ernsthaften Verletzungen oder Erkrankungen wollen wir keine unnötige Zeit verschwenden. Auch akute Infektionskrankheiten gehören in die Hände der Schulmedizin, genau so wie frische Traumata und Knochenbrüche.

Relative Kontraindikationen

Die relativen Kontraindikationen sind nicht so scharf begrenzt wie die absoluten. In jedem Fall muss ernsthaft abgewogen werden, ob eine osteopathische Behandlung den Zustand signifikant verbessern kann. Außerdem sollte mit den Behandelnden Schulmedizinern eine enge Absprachen stattfinden um das Patientenwohl nicht zu gefährden.

Eine Krebserkrankung solle immer primär durch gute Schulmedizin versorgt werden (speziell durch die Onkologie). Erst nach Absprache mit verantwortlichen Onkologen darf in Erwägung gezogen werden, ob eine begleitende osteopathische Therapie Nutzen stiften kann und gemacht werden darf. Bestimmte Krebserkrankungen können sich bei falscher Therapie wie ein Lauffeuer im Körper verbreiten und streuen (metastasieren) und die weitere Prognose erheblich verschlechtern.

Psychische Erkrankungen stellen eine große Herausforderung für Patient wie Osteopathen dar. Denn auch dann, wenn der Osteopath bei dem Patienten auf körperlicher Ebene arbeitet, kann dies dazu führen, dass bestimmte Emotionen getriggert und gelöst werden, was eine Retraumatisierung verursachen kann. Unter Umständen bedarf es eines höheren Aufwandes als einer einmaligen Behandlung.

Die meisten ernsthaften Erkrankungen stellen eine absolute Kontraindikation für Osteopathie dar. Bei manchen schweren, auch chronischen, Erkrankungen wie Krebs oder Multipler Sklerose kann Osteopathie als ergänzende Therapie hilfreich sein. Dies kommt immer auf den Einzelfall an und sollte mit den behandelnden Schulmedizinern abgesprochen werden.

Spezifische Kontraindikationen der Craniosacralen Therapie

Nicht angewendet werden sollte die Craniosacrale Therapie (Osteopathie) bei akuten unklaren Schmerzen, akuten Entzündungen (z.B. heiße, geschwollene Gelenke, Meningitis), frischen Verletzungen, schweren oder offenen Kopfverletzungen (Schädelbruch, Gehirnerschütterung, Hirnödeme), bei Hämatomen (Blutergüsse, durch Trauma entstandene Blutansammlung), Hirn-Aneurysmen (Aussackungen von Hirnhäuten oder -gefäßen) oder Hirnblutungen, Hirntumoren, akutem Herzinfarkt oder akutem Schlaganfall, Schizophrenie (Achtung auf Borderline-Syndrom), Epilepsie (Risiko eines Anfalls) und Infektion mit ungeklärtem Verlauf.

Manuelle Lymphdrainage und Hirndruck

Ein Team von Forschern aus Kassel und Marburg ging diesen Hinweisen nach und hat im Rahmen einer Pilotstudie untersucht, inwiefern die manuelle Lymphdrainage bei Patienten mit erhöhtem Hirndruck zur Behandlung eingesetzt werden kann. In dieser Studie wurden Patienten einer Intensivstation mit schweren Hirnverletzungen beobachtet, deren Hirndruck ständig beobachtet wurde. Die Pilotstudie konnte zeigen, dass in beiden Patientengruppen der Hirndruck während der MLD-Behandlung leicht zurück ging und in der Gruppe mit höheren Ausgangswerten auch noch 15 Minuten nach der Behandlung reduziert blieb. Weiterhin zeigte sich, dass bei einigen dieser Patienten, der Hirndruck unter die kritische Schwelle von 15mmHg fiel.

Die Autoren sind vorsichtig mit der Interpretation ihrer Ergebnisse, da es sich um eine Pilotstudie mit wenigen Patienten handelt. Zudem erläutern Sie weitere mögliche Erklärungen für den positiven Effekt der MLD: Zum Beispiel könnte allein schon die Berührung der Haut durch den Therapeuten und der dadurch entstehende sensorische Stimulus das vegetative Nervensystem anregen, was wiederum den Hirndruck beeinflussen kann.

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