Ein Schlaganfall kann schwerwiegende Folgen haben, die oft einen neurochirurgischen Eingriff erfordern. Eine solche Operation ist die Kraniotomie, bei der ein Teil der Schädeldecke entfernt wird, um das Gehirn zu entlasten oder zu behandeln. Nach einer solchen Operation stellt sich oft die Frage, wann und wie die Schädeldecke wieder eingesetzt werden kann. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte des Wiedereinsetzens der Schädeldecke nach einem Schlaganfall, basierend auf Erfahrungen von Betroffenen und medizinischen Erkenntnissen.
Die Kraniotomie: Ein Überblick
Um Erkrankungen des Gehirns operativ zu behandeln, ist es oft notwendig, die Schädeldecke zu öffnen. Das Gehirn ist von einem starren Schädelknochen umgeben, der es schützt. Bei einer Kraniotomie wird nach der Eröffnung der Haut und gegebenenfalls der Durchtrennung von Muskulatur und Periost ein Loch in den Schädelknochen gebohrt. Dies kann mit einer Fräse oder einem Trepan wie dem evoDrill von evonos erfolgen. Der evoDrill stoppt automatisch, wenn kein knöcherner Widerstand mehr vorhanden ist, was besonders bei der Eröffnung des Schädels über in der Dura liegenden Gefäßen eine sichere Methode darstellt. Es gibt ihn in verschiedenen Durchmessern, um die passende Größe für die primäre Eröffnung auszuwählen. Bei großen Kraniotomien können mehrere Bohrlöcher angelegt und mit einem Kraniotom verbunden werden. Anschließend wird der ausgesägte Knochendeckel entfernt.
Viele Kraniotomien erfolgen nach anatomischen Standards. Es gibt beschriebene Zugangswege in der hinteren, mittleren und vorderen Schädelgrube, um zu dortigen Pathologien zu gelangen. Ein pterionaler Zugang, bei dem der Schädel frontotemporal eröffnet wird, ermöglicht den Zugang zur vorderen Schädelbasis. Für Zugänge, die nicht durch anatomische Landmarken begrenzt sind, stehen Navigationssysteme zur Verfügung. Diese Systeme verwenden zuvor angefertigte dünnschichtige Bilder aus dem MRT oder CT, die mit dem fixierten Kopf des Patienten referenziert werden. Dadurch kann der Zugang zu einem Tumor und die Größe und Lokalisation der Kraniotomie im Voraus geplant werden.
Gründe für die Entfernung der Schädeldecke
Die Entfernung der Schädeldecke, auch Kraniektomie genannt, wird oft durchgeführt, um dem Gehirn bei Schwellungen Raum zur Ausdehnung zu verschaffen. Dies ist besonders wichtig bei Zuständen wie:
- Schädel-Hirn-Trauma: Verletzungen des Kopfes können zu Hirnschwellungen führen, die lebensbedrohlich sein können.
- Schlaganfall: Insbesondere bei großen Schlaganfällen kann es zu einer massiven Hirnschwellung kommen, die durch eine Kraniektomie behandelt werden muss.
- Hirnblutungen: Blutungen im Gehirn können ebenfalls zu erhöhtem Druck führen, der durch die Entfernung eines Teils der Schädeldecke reduziert werden kann.
In diesen Fällen wird der Knochendeckel nicht sofort wieder eingesetzt, um dem Gehirn ausreichend Platz zur Ausdehnung zu geben.
Lesen Sie auch: Symptome erkennen
Verfahren zur Aufbewahrung des Knochendeckels
Nach der Entfernung wird der Knochendeckel gereinigt und entweder kryokonserviert (tiefgefroren) oder in einer subkutanen Tasche in der Bauchwand des Patienten implantiert. Die Kryokonservierung ermöglicht eine spätere Reimplantation des Knochendeckels. Die Implantation in der Bauchwand hat den Vorteil, dass der Knochendeckel vital erhalten bleibt, birgt aber das Risiko einer längeren Operationszeit und zusätzlicher Komplikationen.
Der Zeitpunkt der Reimplantation
Es gibt keine starren Zeitvorgaben für die Reimplantation der Schädeldecke. Der Zeitpunkt hängt von der Hirnschwellung und der Gesamtsituation des Patienten ab. In der Regel erfolgt die Reimplantation, sobald die Hirnschwellung ausreichend zurückgegangen ist. Dies kann mehrere Wochen oder Monate dauern.
Der Eingriff zur Reimplantation
Bei der Reimplantation wird die alte Narbe eröffnet und die Knochenränder vorsichtig freipräpariert. Der Knochendeckel oder ein Implantat aus PEEK oder Titan wird dann exakt eingesetzt. Der Knochendeckel wird mit Plättchen am Schädel fixiert, wobei verschiedene Plättchenmodelle für einen individuellen Halt zur Verfügung stehen.
Materialien für die Kranioplastie
Wenn der eigene Knochendeckel nicht wiederverwendet werden kann, kommen verschiedene Kunstmaterialien zum Einsatz:
- Titan: Ein sehr stabiles und gut verträgliches Material, das jedoch keine Osteomigration zulässt und thermosensibel sein kann.
- PEEK (Polyetheretherketon): Ein biokompatibles Polymer, das leicht und stabil ist.
- Hydroxylapatit: Ein Material, das dem natürlichen Knochen nachempfunden ist und die Einwachsung von Knochengewebe fördert.
- Knochenzement: Wird oft für kleinere Defekte verwendet.
Die Herstellung der Implantate erfolgt heutzutage oft mittels CAD/CAM-Technologie (computer aided design/manufactured), wodurch eine präzise Anpassung an die individuelle Anatomie des Schädels möglich ist.
Lesen Sie auch: Umfassender Überblick: Kraniotomie
Erfahrungen von Patienten und Angehörigen
Viele Patienten und Angehörige berichten von Ängsten und Nervosität vor der Reimplantation der Schädeldecke. Diese Ängste sind verständlich, da der Eingriff am Kopf stattfindet und das Gehirn bereits durch den Schlaganfall verletzt ist. Einige Patienten haben Angst vor Komplikationen wie Koma oder erneuten Eingriffen.
Trotz dieser Ängste berichten viele Patienten von einem positiven Schub nach der Reimplantation. Obwohl die genaue Ursache dafür nicht bekannt ist, beobachten Ärzte diesen Effekt immer wieder. Einige Patienten fühlen sich nach dem Eingriff wohler und sehen ihn als einen Schritt in Richtung Genesung und Normalität.
Mögliche Komplikationen
Die Kranioplastie ist generell mit einer hohen Komplikationsrate verbunden. Zu den möglichen Komplikationen gehören:
- Infektionen: Infektionen können eine erneute Entfernung des Deckels und eine lange antibiotische Therapie erforderlich machen. Für eine erneute Kranioplastie muss dann ein künstlicher Deckel aus Titan oder PEEK hergestellt werden.
- Krampfanfälle: Krampfanfälle können nach der Reimplantation auftreten.
- Hydrocephalus: Ein Hydrocephalus (Wasserkopf) kann sich entwickeln.
- Sinking Skin Flap Syndrom (SSFS): Hierbei sinkt das Gehirn deutlich unter das Niveau des Schädels, was nach der Reimplantation zu Einblutungen führen kann.
- Autolyse: Der reimplantierte Schädelknochen kann sich an den Rändern auflösen, was zu kosmetischen Problemen und einer Lockerung führen kann.
- Epileptische Anfälle: Bei einer künstlichen Schädeldecke kann es zu epileptischen Anfällen kommen.
Kosmetische Aspekte
Die direkte Kraniotomie kann kosmetische Auswirkungen haben. Wenn die Knochen nicht direkt aneinander liegen, entsteht ein Spalt, der von manchen Patienten als störend empfunden wird. Bei einer Autolyse löst sich der reimplantierte Schädelknochen an den Rändern zunehmend auf, was ebenfalls zu kosmetischen Problemen führen kann.
Neurologische Folgen
Der neurologische Zustand der Patienten hängt maßgeblich von der Grunderkrankung und den präoperativ vorhandenen Ausfällen ab. Wenn ein Tumor durch seine raumfordernde Wirkung zu neurologischen Symptomen wie einer Schwäche geführt hat, können sich diese Beschwerden durch eine Entfernung des Tumors zurückbilden. Allerdings kann eine Tumorresektion im Bereich des motorischen Kortex auch zu einer Verschlechterung der Beweglichkeit führen. Zudem können Blutungen oder Durchblutungsstörungen in eloquenten Arealen bestehende Symptome verschlechtern oder neue Beeinträchtigungen verursachen. Als mögliche Folge können Lähmungen oder Sprachstörungen auftreten. Muss ein Gefäß koaguliert werden, kann es wie bei einem Schlaganfall zu neurologischen Ausfällen kommen.
Lesen Sie auch: Risiken und Chancen der Gehirn-OP
Aktuelle Forschungsergebnisse
Eine Gemeinschaftsstudie unter Beteiligung von Leipziger Wissenschaftlern hat gezeigt, dass die Entfernung eines Teils der Schädeldecke das Leben von Schlaganfallpatienten retten kann, sie jedoch nicht vor schwerer Behinderung bewahrt. Insbesondere Patienten über 60 Jahre mit einem sehr schweren Schlaganfall profitieren von der vorübergehenden Entfernung der Schädeldecke, um den Druck vom Hirn zu nehmen. Dadurch werden ihre Überlebenschancen fast um die Hälfte erhöht. Allerdings behalten die Betroffenen oft starke Behinderungen zurück und sind in der Regel pflegebedürftig.
Eine weitere Studie hat gezeigt, dass eine Kraniektomie zur Entlastung eines erhöhten Hirndrucks bei Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma die Sterblichkeit im Vergleich zu einer fortgesetzten medikamentösen Therapie halbiert. Allerdings verließen viele der überlebenden Patienten die Klinik mit schweren Behinderungen oder waren dauerhaft pflegebedürftig.
Die SWITCH-Studie untersuchte die Wirkung einer Kraniektomie zur Druckentlastung bei Patienten mit tiefen Hirnblutungen. Dabei wurde ein Teil der Schädeldecke entfernt und nach Rückgang der Schwellung wieder implantiert. Die Ergebnisse zeigten, dass die Kombinationstherapie (Standardtherapie plus Kraniektomie) möglicherweise der Standardtherapie überlegen ist, obwohl die statistische Signifikanz knapp verfehlt wurde.
tags: #Schädeldecke #wieder #einsetzen #nach #Schlaganfall #Erfahrungen