Ein Schlaganfall kann vielfältige neurologische Defizite verursachen, darunter die spastische Hemiparese, eine halbseitige Lähmung, die oft mit einer erhöhten Muskelspannung (Spastik) einhergeht. Dieser Artikel beleuchtet die therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung der spastischen Hemiparese nach einem Schlaganfall, basierend auf aktuellen Leitlinien und Forschungsergebnissen.
Was ist eine spastische Hemiparese?
Die Halbseitenlähmung, auch Hemiparese genannt, bezeichnet die Lähmung einer Körperhälfte. Sie kann vollständig (Hemiplegie) oder unvollständig (Hemiparese) ausgeprägt sein. Typischerweise tritt sie als Folge eines Schlaganfalls oder einer Schädigung des Gehirns aufgrund anderer Ursachen auf. Betroffene können unmittelbar nach dem Ereignis eine Körperhälfte nicht mehr richtig spüren und/oder kontrollieren. Es kommt zu einseitigen Kraft- und Bewegungsstörungen sowie Muskelverkrampfungen im Gesicht oder an Armen und Beinen, was den Alltag erheblich einschränken und die Betroffenen psychisch belasten kann.
Ursachen und Entstehung
Jeder Teil des Gehirns ist für bestimmte Funktionen oder Körperteile zuständig. Dabei arbeiten die Gehirnhälften überkreuz. Ist der rechte Teil des Gehirns zum Beispiel durch eine Verletzung oder einen Schlaganfall nicht ausreichend durchblutet, kann es zu Ausfallerscheinungen in der linken Körperhälfte kommen - und umgekehrt. Die Lähmung nach einer Hirnschädigung kann als eine Störung der Bewegungskontrolle verstanden werden. Im Gehirn gibt es Gebiete, die für die Steuerung jeder Bewegung erforderlich sind. In der linken Hirnhälfte liegen diese für die rechte Körperseite, in der rechten Hirnhälfte für die linke Körperseite. Man nennt diese Gebiete „motorischer Kortex“ (Hirnrinde). Eine Lähmung entsteht, wenn entweder der motorische Kortex selbst geschädigt ist. Oder wenn die Nervenleitbahnen vom motorischen Kortex zum Rückenmark geschädigt sind (die sogenannten „kortikospinalen Bahnen“).
Symptome einer Halbseitenlähmung
- Motorische Einschränkungen: Schlaganfall-Betroffene können oft unmittelbar nach dem Ereignis eine Körperhälfte nicht mehr richtig spüren und/oder kontrollieren. Ein Arm kann nicht gehoben werden und das Bein bietet keinen stabilen Halt mehr.
- Fazialisparese: Im Gesicht funktioniert das Lächeln nicht mehr, weil ein Mundwinkel unten bleibt.
- Sensibilitätsstörungen: Viele Betroffene berichten auch von einem Kribbeln oder einem „pelzigen Gefühl“ in den Körperteilen.
- Spastik: Bei einer Schädigung im Bereich des zentralen Nervensystems kommt es zu einer Erhöhung des Spannungszustands von Muskeln. Die Spastik ist eine häufige Folge des Schlaganfalls. Bei der Spastik entwickelt sich aus einer schlaffen Muskellähmung über einen längeren Zeitraum, oft über Monate, eine überhöhte Muskelspannung, die der Betroffene nicht kontrollieren kann. Die Verkrampfung unterliegt Schwankungen, wird durch Gefühlsregungen oder Berührungen verstärkt oder beruhigt.
Schweregrad der Lähmung
Die Lähmungserscheinungen sind - je nach Schwere des Schlaganfalls oder der Hirnverletzung - unterschiedlich. Einige Betroffene können weder Arm noch Bein bewegen, dann spricht man von einer Hemiplegie. Andere wiederum können entweder noch den Arm oder das Bein bewegen, dann wird in der Fachsprache meistens das Wort Hemiparese verwendet. Ob es sich um eine Hemiparese oder Hemiplegie handelt sowie der Grad einer Lähmung (leichte Taubheit oder Schwäche bis zur vollständigen Bewegungsunfähigkeit), richtet sich nach Anzahl der betroffenen Gehirnzellen.
Spastik: Erhöhte Muskelspannung als Folge des Schlaganfalls
Die Spastik ist eine häufige Folge des Schlaganfalls. Rund 250.000 Menschen in Deutschland, so schätzt man, leiden unter einer spastischen Bewegungsstörung. Der Begriff Spastik ist abgeleitet aus dem Griechischen (Spasmos = Krampf) und meint eine erhöhte Eigenspannung der Muskulatur. Sie entsteht durch eine Schädigung des Gehirns, ein Defekt auf dem Weg von der Entstehung des Bewegungsimpulses bis zur Ausführung im Muskel. Die häufigste Ursache für eine Spastik ist der Schlaganfall.
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Bei einer Spastik sind Gelenke oder Körperabschnitte an den Muskeln steifer als normal. Die Bewegungen sind dadurch gestört - und je schneller Betroffene ein Gelenk bewegen, desto steifer wird es (spastische Tonuserhöhung). Oft kommen bei einer Spastik Schmerzen an betroffenen Muskeln oder Gelenken hinzu. Auch Lähmungen und einer vorzeitige Erschöpfbarkeit der Muskeln können auftreten. Eine bestehende Spastik kann sich durch Bewegungseinschränkung, Schmerzen, emotionale Anspannung, Entzündungen/Infekte, Stuhl- oder Harndrang, Hautschädigungen, Thrombosen oder Knochenbrüche verstärken.
Diagnostik der Spastik
Neben der körperlichen Untersuchung gibt es spezielle Diagnoseverfahren, um eine Spastik festzustellen. Hilfreiche Hinweise können im Einzelfall noch genetische Untersuchungen geben. Nach einer solchen Schädigung gibt es Veränderungen des Zentralnervensystems. Durch diese verändern sich auch Nerven, Muskeln und Weichteile, wodurch sich die mechanischen Eigenschaften und Strukturen in betroffenen Muskeln und Extremitäten ändern (zum Beispiel die elastischen Eigenschaften). Eine Spastik wird dabei immer durch mehrere Faktoren verursacht. Nach einem Schlaganfall bekommen Menschen häufiger Spastik, wenn sie stärkere Lähmungen und Gefühlsstörungen haben sowie deutlich in der Alltagsbewältigung eingeschränkt sind.
Therapie der spastischen Hemiparese
Die Behandlung der spastischen Hemiparese zielt darauf ab, die motorischen Funktionen zu verbessern, die Spastik zu reduzieren, Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen. Dabei kommen verschiedene Therapieansätze zum Einsatz, die individuell auf die Bedürfnisse und den Zustand des Patienten abgestimmt werden.
Akutbehandlung und Rehabilitation
Da eine Halbseitenlähmung immer als Folge einer anderen Erkrankung auftritt, behandeln wir zunächst die Grunderkrankung. Dabei kommen je nach Auslöser medikamentöse sowie operative Verfahren infrage. Sobald wie möglich folgt dann die individuelle Behandlung Ihrer Halbseitenlähmung, nach einem Schlaganfall in der Regel bereits innerhalb der ersten 24 Stunden noch auf unserer Schlaganfallstation (Stroke Unit). Je früher wir mit der Therapie beginnen können, desto besser stehen die Chancen, Ihre Lähmung zu lindern und den weiteren Verlauf positiv zu beeinflussen.
Im Anschluss an die Akutbehandlung beginnen wir so früh wie möglich mit der Behandlung Ihrer Halbseitenlähmung. Dabei arbeiten unsere Spezialisten der Neurologie, Physio- und Ergotherapie, Logopädie und Pflege eng zusammen. Mit einem individuell auf Ihre Beeinträchtigungen angepassten Rehabilitationsprogramm trainieren wir mit Ihnen Beweglichkeit, Gleichgewichtssinn und Koordination mit und ohne orthopädische Hilfsmittel wie Orthesen sowie Ihre Feinmotorik. Ist auch Ihre Gesichtsmuskulatur betroffen, ist das Training der Lippen- und Zungenmuskulatur besonders wichtig, um Ihre Schluck- und Sprechfunktion zu verbessern. Eine psychotherapeutische Begleitung durch unsere Spezialisten kann sinnvoll sein, um Ängste oder Unsicherheiten abzubauen, Selbstvertrauen aufzubauen und Depressionen vorzubeugen oder zu behandeln.
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Physiotherapie und Ergotherapie
Physio- und Ergotherapie sind zentrale Bestandteile der Behandlung der spastischen Hemiparese. Durch gezielte Übungen und Techniken sollen die Beweglichkeit verbessert, die Muskelkraft gestärkt und die Koordination gefördert werden.
- Klassische Physiotherapie: Die verschiedenen klassischen Physiotherapieschulen (zum Beispiel Bobath oder PNF) werden nicht ausdrücklich empfohlen.
- Arm-Basis-Training: Mit dem Arm-Basis-Training übt man jeden Tag die Bewegungsfähigkeit wiederholt und einzeln in den verschiedenen Abschnitten von Arm, Hand und Fingern. Sie sollte bei Patienten früh nach dem Schlaganfall durchgeführt werden.
- Arm-Fähigkeits-Training: Das Arm-Fähigkeits-Training trainiert täglich Präzision und Geschwindigkeit („Geschicklichkeit“) bei verschiedenen Armfunktions-Anforderungen an der individuellen Leistungsgrenze.
- Bewegungsinduktionstherapie (CIMT): Die sogenannte Bewegungsinduktionstherapie („Constraint induced movement therapy, CIMT“) ist eine spezielle Therapie für Schlaganfall-Betroffene mit einem „erlernten Nicht-Gebrauch“. Diese Personen haben früh nach einem Schlaganfall realisiert, dass ihr gelähmter Arm im Alltag nicht oder kaum eingesetzt werden kann. Sie haben dann gelernt, alles mit der nicht betroffenen Hand zu machen. Später hat sich der gelähmte Arm eventuell schon erholt. CIMT umfasst üblicherweise sechs Stunden Therapie pro Tag. Ergänzend stellt man über zwei Wochen die weniger betroffene Hand für die größte Zeit des Tages ruhig (90 Prozent der Wachstunden). Möglich ist auch eine abgeänderte, weniger intensive Form. Diese Behandlungsformen sind sehr zeitintensiv. Aber sie sind wirksam, um einen erlernten „Nichtgebrauch“ zu verändern und den tatsächlichen Einsatz des betroffenen Armes im Alltag zu fördern.
- Spiegeltherapie: Bei der Spiegeltherapie betrachtet der Patient im Spiegel die Bewegung seiner nicht gelähmten Hand. Durch den Blick in den Spiegel sieht diese Bewegung so aus als würde sich seine gelähmte Hand ganz normal bewegen.
- Mentales Training: Eine Verbesserung der Armfunktion ist auch durch das mentale Training denkbar.
- Passive Muskelstreckung: Besonders wichtig ist die passive Muskelstreckung zusätzlich zur ausgewählten Standardtherapie.
- Zirkeltraining: Insbesondere bei leichten bis mittelschweren Lähmungen ist für die Behandlung geeigneter Patienten ein „Zirkeltraining“ denkbar. Dabei können auch passive mechanische Trainingsgeräte und virtuelle Realitäts-Anwendungen zum Einsatz kommen.
- Tägliches Eigentraining: Um die Arm-Handaktivitäten zu verbessern, lassen sich tägliches Eigentraining und Training mit Therapeuten kombinieren (Eigentraining mit regelmäßiger therapeutischer Begleitung, 90 Minuten pro Woche).
Logopädie
Ist auch Ihre Gesichtsmuskulatur betroffen, ist das Training der Lippen- und Zungenmuskulatur besonders wichtig, um Ihre Schluck- und Sprechfunktion zu verbessern.
Medikamentöse Therapie
Zur Behandlung der Spastik stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung, die je nach Art und Ausprägung der Spastik eingesetzt werden.
- Orale Antispastika: Orale Antispastika, z. B. Baclofen oder Tizanidin, können bei generalisierter oder segmentaler Spastik in Betracht gezogen werden, haben jedoch häufig unerwünschte Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit und Muskelschwäche.
- Intrathekale Baclofen-Therapie (ITB): Bei schwerer generalisierter oder segmentaler Spastik können die Patienten von einer intrathekalen Baclofen-Behandlung (ITB) profitieren. Da diese Behandlung mit einem operativen Eingriff mit möglichen Komplikationen verbunden ist, sollte die ITB nur schweren Fällen vorbehalten sein. Patienten mit länger zurückliegendem Schlaganfall und Spastik profitieren von einer ITB im Vergleich zur Therapie mit Tabletten und Spray.
- Botulinumtoxin A (BoNT A): Bei fokaler und multifokaler Spastik sind intramuskuläre BoNT A-Injektionen die medikamentöse Therapie der Wahl. BoNT A wird als First-Line-Behandlung für die fokale Spastik nach Schlaganfall in der aktuellen deutschen DGN-Leitlinie sowie in internationalen Guidelines empfohlen. Der Wirkeffekt von BoNT A kann durch eine Kombination mit einer neuromuskulären Elektrostimulation oder Cast-Behandlung noch verstärkt werden.
Gerätegestützte Therapie
- Neuromuskuläre Elektrostimulation: Bei den verschiedenen Verfahren der neuromuskulären Elektrostimulation werden Nerven und Muskel am Arm elektrisch stimuliert. So erzeugt man technisch eine Bewegung, die eine betroffene Person mit schwerer Armlähmung nach Hirnschädigung noch nicht selbst ausführen könnte.
- Robot-Therapie: Arm-Therapie-Roboter können je nach Bauart Schulter- und Ellenbogen-Bewegungen, Unterarm- und Handgelenksbewegungen oder Fingerbewegungen mechanisch unterstützen. Die Arm-Therapie-Roboter erkennen, welchen Anteil an Bewegungen der Betroffene schon selbst ausführen kann und ergänzen den Rest der Trainingsbewegungen. Mit ihnen können Betroffene mit sehr hohen Wiederholungsraten die gezielte Bewegungsfähigkeit in den einzelnen Armabschnitten trainieren und verbessern. Für die Therapie von Standsicherheit, Gang, Treppensteigen oder der Arm-Hand-Funktion sieht man vielversprechende Verbesserungen bei einer Spastik durch den Einsatz von Robotern.
- Sensible Stimulation und Akupunktur: Als Zusatztherapie zur Behandlung von Armlähmungen können verschiedene Formen der sensiblen Stimulation erwogen werden.
Hilfsmittel
- Orthesen: Eine Lähmung ausgleichen und günstige Effekte auf die Muskelspannung und Muskellänge haben Schienen, Splints, Verbände (Casts) und Orthesen.
- Elektrostimulation: Elektrostimulation aktiviert über angeklebte Elektroden auf der Haut Nerven und Muskelfasern mit kleinen Strömen (transkutane elektrische Nervenstimulation, TENS). Hier gibt es positive Effekte auf Spastik und den Bewegungsumfang (ROM). Auch die funktionelle Elektrostimulation (FES) für Bewegungen, die vom Patienten ganz oder teilweise selbst ausgeführt werden (z.B. Greifen und Hantieren, Gehen), kann neben der Verbesserung motorischer Funktionen einen Spastik-mindernden Effekt aufweisen.
Weitere Therapieansätze
- Magnetstimulation: Eine spastische Tonuserhöhung lässt sich mit gezielten Magnetfeldreizen zur Stimulation ausgewählter Nerven, Nervenwurzeln oder Hirnarealen behandeln (periphere repetitive Magnetstimulation, prMS; repetitive transkranielle Magnetstimulation, rTMS).
- Stoßwellentherapie: Stoßwellentherapie kann über Wochen anhaltend einen spastisch erhöhten Muskeltonus mindern mit einer begleitenden Erweiterung des Bewegungsumfangs (extrakorporale Stoßwellentherapie, ESTW).
- Operationen: Manchmal können wir die Ursache Ihrer Halbseitenlähmung operativ behandeln, zum Beispiel einen Schlaganfall, eine Schädel-Hirn-Verletzung oder einen Tumor. Darüber hinaus können wir stark ausgeprägte Spastiken in bestimmten Fällen durch eine Operation lindern. Bei schwerster Spastik, die anders nicht zu behandeln sind, gibt es chirurgische Verfahren (dorsale Rhizotomie oder Eingriffe in der Eintrittszone der Hinterwurzel ins Rückenmark). Durch sie können ausgeprägte Fehlhaltungen vermieden werden und damit verbundene Pflegehemmnisse, hygienische Probleme und Komplikationen wie Kontrakturen oder Hautläsionen. Nach Versagen der Standardtherapieverfahren und damit verbundenen Schmerzen können in weiteren chirurgischen Verfahren bestimmte Stellen eines Nerven durchtrennt werden (motorische Endäste, z.B. Nervus tibialis bei spastischem Spitzfuß, „pes equinus“).
Multiprofessionelle Behandlung
Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie der Spastik ist ein multiprofessionelles Behandlungsteam, das gemeinsam mit dem Patienten die Ziele für die Behandlung definiert. Schlüsselbereiche für die Zielsetzung sind u. a. Symptome und Behinderungen sowie Aktivitäten. Die Ziele sollten sich grundsätzlich an den „SMART-Kriterien” orientieren, d. h. spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminiert sein. Konkrete Beispiele für Behandlungsziele sind u. a. die Linderung von Schmerzen, verbessertes Sitzen, Stehen und Gehen, Erleichterung bei den Alltagsaktivitäten, verringerte Pflegebelastung, verbessertes Körperbild und Selbstwertgefühl sowie die Prävention von Komplikationen.
Der Patient sollte nicht nur aktiv an der Festlegung der Ziele, sondern auch an deren Evaluation, also der Messung von Ergebnissen der Interventionen, beteiligt werden. Zur standardisierten individuellen und partizipativen Vereinbarung von Therapiezielen ist das Goal Attainment Scaling (GAS) ein geeignetes Verfahren.
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Die Spastik-Ampel
Mithilfe der „Spastik-Ampel“, einem Risikoklassifizierungssystem in Form eines Ampelsystems, werden Ärzte, Physio- und Ergotherapeuten in die Lage versetzt, Patienten mit einem Risiko für eine Spastik zu identifizieren und vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen.
Die Spastik-Ampel unterscheidet drei Kategorisierungen in Risikogruppen, die auf den Risikofaktoren für PSS basieren: Rot = dringende Überweisung, Gelb = Routineüberweisung, Grün = regelmäßige Überwachung. Für jede Klassifizierung/Gruppe werden die nächsten Schritte für das Patientenmanagement aufgezeigt.
- Rot: Die Spastik-Ampel steht auf Rot, wenn eine dringende Überweisung zu einem Spezialisten erforderlich ist. Dies ist der Fall, wenn die beiden folgenden Kriterien erfüllt sind: 1. Mäßig, deutlich oder stark erhöhter Muskeltonus (modifizierte Ashworth-Skala (MAS) ≥2) in zwei oder mehr Gelenken. Starke Störung der sensomotorischen Funktionen, z. B. starke Abnahme der Oberflächensensibilität, Beeinträchtigung der Propriozeption und schwere motorische Dysfunktion. In diesem Fall sollte dringend eine Physio- und Ergotherapie eingeleitet werden.
- Gelb: Die Spastik-Ampel steht auf Gelb, wenn eine Beratung mit dem multiprofessionellen Team (MPT) und eine enge spezialisierte Überwachung angezeigt ist. Dies ist der Fall bei Vorliegen eines leicht erhöhten Muskeltonus in einem Gelenk (MAS 1 und 1+) und unwillkürlichen Muskelkontraktionen in der betroffenen Extremität plus einem oder mehreren der folgenden Kriterien: Reduzierte Sensibilität auf einer Körperseite und/oder visuelle Unaufmerksamkeit. Schwäche der Extremitäten und Störung der sensomotorischen Funktionen. Schwierigkeiten mit aktiven Bewegungen, die im Alltag stören. Ausdehnung und Lokalisation der Läsion im Kortikospinaltrakt anhand eines CT und/oder MRT. In diesen Fällen sollte eine Physio- und Ergotherapie eingeleitet werden und der Patient durch Spezialisten des MPT mit fundierter Erfahrung im Management von spastischen Bewegungsstörungen betreut werden.
- Grün: Die Spastik-Ampel zeigt Grün, wenn lediglich eine Überprüfung von Muskeltonus und sensomotorischen Funktionen erforderlich ist. Eine regelmäßige Überwachung sollte bei Patienten mit anhaltenden motorischen Problemen und nicht erhöhtem Muskeltonus erfolgen. Nach drei bis sechs Monaten wird eine erneute Beurteilung empfohlen.
Herausforderungen in der Versorgung und Lösungsansätze
Trotz der vielfältigen Therapiemöglichkeiten besteht in Deutschland eine deutliche Unterversorgung von Patienten mit spastischer Bewegungsstörung nach Schlaganfall. Studien zeigen, dass evidenzbasierte Therapien wie BoNT A, intrathekales Baclofen sowie Physio- und Ergotherapie noch zu wenig eingesetzt werden.
Gründe für die Unterversorgung
- Mangelndes Bewusstsein für das Problem der SMD und ihrer Komplikationen wie Kontrakturen und Schmerzen.
- Geringe Akzeptanz der BoNT-A-Behandlung, wobei orale Antispastika bevorzugt werden.
- Fehlen von qualifizierten BoNT-A-Behandelnden, was zu langen Wartezeiten für Termine führt.
- Fehlende zusätzliche Vergütung für BoNT-A-Injektionen.
- Kapazitätsengpässe aufgrund von Personalmangel in Spezialambulanzen der Universitätskliniken.
- Ungenügende Informationsübermittlung zwischen Akutkliniken, Rehabilitationskliniken und weiterbehandelnden niedergelassenen Ärzten.
- Mangelnde interdisziplinäre Konzepte und ungenügende lokale Vernetzung zwischen den verschiedenen Behandlungssektoren.
- Fehlendes Wissen über Therapieoptionen für SMD, insbesondere bei Allgemeinmedizinern und teilweise auch bei niedergelassenen Neurologen.
- Ungenügendes Entlassungsmanagement bezüglich des SMD-Risikos und der Weiterbehandlung der Patienten.
- Ungenügende Aufklärung von Patienten und Angehörigen über die SMD.
Lösungsansätze zur Verbesserung der Versorgung
- Erarbeitung und Umsetzung von Patientenpfaden, die Patienten mit SMD einer rechtzeitigen BoNT-A-Therapie in Kombination mit physikalischen Maßnahmen zuführen.
- Gewährleistung einer neurologischen Betreuung für alle Schlaganfallpatienten, innerhalb derer sämtliche Folgesymptome in der Schlaganfallnachsorge berücksichtigt werden müssen.
- Durchführung des Screenings und Risiko-Assessments bezüglich SMD gemäß einem Ampelsystem.
- Verbesserung der Vergütung für BoNT-A-Injektionen und Einführung eines Disease-Management-Programms für SMD.
- Förderung der Kommunikation über die Sektorengrenzen hinweg und Stärkung der lokalen Vernetzung zwischen den verschiedenen Behandlungssektoren.
- Verbesserung des Entlassungsmanagements und der Aufklärung von Patienten und Angehörigen über die SMD.
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